50 Jahre nach Fürstenfeldbruck: Verdrängte Wahrheiten und offene Wunden: PresseClub-Gespräch mit Professor Dr. Michael Wolffsohn
Das Olympia-Attentat vom 05. September 1972 hat eine Vorgeschichte und eine Nachgeschichte. Beide sind bis heute noch weniger aufgearbeitet als das Attentat im Olympischen Dorf selbst. Fakt ist: Es gab schon vor den Olympischen Spielen palästinensischen Terror gegen Juden in München. In Riem war eine El Al-Maschine am 10. Februar 1970 Ziel eines Anschlags. Und nur drei Tage später folgte das jüdische Gemeindehaus im Gärtnerplatzviertel - hier sind die Täter und ihre Hintermänner bis heute nicht aufgedeckt. Indizien weisen in den deutschen Links- und Rechtsterrorismus. Auch bei den Vorbereitungen zum Olympia-Attentat führen Spuren in den deutschen Links- und Rechtsextremismus. Offensichtlich sind die Verbindungen zwischen palästinensischen Terroristen und deutschen Rechts- wie Linksextremisten der 1960er und 1970er Jahre, wenn man auf die Ausbildungslager der Terroristen im Nahen Osten blickt.
In seinem PresseClub-Gespräch mit Club-Vorstandsmitglied Peter Althammer wies Professor Wolffsohn mehrmals nachdrücklich darauf hin, dass man bei der Analyse der Vorgeschichte deutlich unterscheiden müsse zwischen den Reaktionen und insbesondere dem Ausbleiben von entschiedenen Aktionen zwischen der Macro- und der Micro-Ebene.
Die Macro-Ebene, also die damaligen und auch die heutige Bundesregierung unter Führung der SPD, sei hinsichtlich Israel und dem Judentum stets hin und hergerissen gewesen zwischen ihrer positiven Haltung gegenüber Moskau und der geschuldeten Loyalität Deutschlands gegenüber Israel. Willy Brandt wollte als Friedenskanzler eines pazifistischen Deutschlands in die Geschichte eingehen, den Ausgleich zu allen suchen, also auch darüber hinweg sehen, dass die damalige UdSSR im 6 Tage-Krieg mit ihrer Luftwaffe gegen Israel gekämpft hatte. Die Außenpolitik lag in den Händen von auf der internationalen Ebene naiven Neulingen. Die Neue Linke war pro-russisch und anti-Israel eingestellt, ebenso wie die mit ihr verfeindeten rechten Gruppierungen. So wurden anti-israelische Attentate nicht wirklich als Vorzeichen der Gefährdung der allgemeinen Sicherheit in Deutschland gesehen und übersehen.
Aus Sicht der Micro-Ebene, also dort, wo die Attentate stattgefunden haben, sich antisemitische Vorfälle ereigneten, sahen die Länder, Städte und Gemeinden die Situation naturgemäß anders. Hier war das Palästinenser-freundliche Moskau fern, die Realität der Attentate nahe, ob rechter Terror oder linker.
Hätte man im Vorhinein gewarnt sein müssen hinsichtlich Olympia 1972? Es sollten die friedlichen Spiele werden, die freiheitlichen, die fröhlichen Spiele im Kontrast zu 1936. Die Polizei trat nicht in Uniform auf. Das Attentat der Palästinenser kam vermeintlich aus heiterem Himmel. Warum hatte man nicht registriert, dass Palästinenser eingereist waren, obwohl sie nicht an Olympia teilnehmen durften? Geschweige denn, dass man Strukturen rechter oder linker Helfer geheimdienstlich ausgespäht hätte. Wäre irgendwo auf einer Polizei-Dienststelle ein Hinweis eingegangen, die Warnung eines Auslandsgeheimdienstes, ist sie nicht weitergeleitet worden. Dies alles ist noch nicht erforscht. Viele Akten sind immer noch der Forschung entzogen.
Was die weitere Aufarbeitung der Katastrophe, der Umgang mit den Angehörigen der Opfer betrifft, so hat lange Zeit die bürokratische Ebene das Klima bestimmt. Zahlen und Gesetze vor Emotionen. Dass erst jetzt, 50 Jahre danach, der Bundespräsident um Vergebung bittet, um Vergebung sowohl für die dilettantische Bekämpfung des Attentats und der missglückten Befreiungsaktion, als auch für den Umgang mit den Betroffenen, könne nicht alles heilen. Offen bleiben auch Fragen zu der erpressten Ausreise der drei palästinensischen Attentäter.
Das Erstarken des Antisemitismus in Deutschland müsse man auch im Kontext sehen mit der starken Migration von Muslimen nach Deutschland und einer erneuten Zerrissenheit der Macro-Ebene zwischen einer Islam- und Palästinenser-freundlichen Politik und der Freundschaft zu Israel und den jüdischen Bürgern.
Könnte auch der Mythos des „Olympischen Friedens“ Grund für die Unbesorgtheit der deutschen Behörden gewesen sein, ein heiliger Friede, der mit dem Entzünden des Olympischen Feuers und dem Spruch des Olympischen Eides bis zum Ende der Spiele alle Feindseligkeiten zwischen Nationen ausschließen soll? Vielleicht ist auch dieser Mythos naiv. Jedenfalls ist er 1972 zerstoben.
Ein PresseClub-Gespräch, das viele neue Aspekte eröffnet hat und alle Teilnehmer nachdenklich nach Hause gehen ließ. Vielen Dank Herr Prof. Wolffsohn.