Atomkrieg aus Versehen?

Pressekonferenz im Münchner PresseClub am 6. Februar 2018

„Atomkrieg aus Versehen?“ Pressekonferenz im Münchner PresseClub am 6. Februar 2018. Foto: Johann Schwepfinger.

Zuvor die Fakten:

Am 26. September 1983, als der Kalte Krieg sehr heiß war (Peter Schmalz), meldete das sowjetische Raketen-Frühwarnsystem um 0:15 h den Anflug amerikanischer Interkontinental-Raketen. Der wachhabende Oberstleutnant Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow hätte gemäß Dienstanweisung sofort einen Gegenschlag auslösen müssen. Petrow hatte jedoch Zweifel. Obwohl sich die Meldung in den nächsten Minuten viermal wiederholte, meldete er seinem Vorgesetzten „Fehlalarm“. 20 bis 25 Minuten benötigt eine amerikanische Rakete, bis sie den sowjetischen Luftraum erreicht. Aber es passierte – nichts. Petrow hat seine Dienstanweisung verletzt, und dabei mit höchster Wahrscheinlichkeit einen dritten Weltkrieg mit Atomschlägen verhindert.

Ingeborg Jakobs, erfolgreiche Autorin und mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilmerin, veröffentlichte 2015 im Westend-Verlag das Buch „Stanislaw Petrow: Der Mann, der den Atomkrieg verhinderte / Wer rettet uns das nächste Mal?“ mit einer Laudatio von Claus Kleber.

Pierre-Dominique Ponnelle, Dirigent und Komponist, gebürtig 1957 in München als Sohn einer Künstler-Familie, mehrere Jahre Chefdirigent des Minsker Sinfonie-Orchesters und in Russland unterwegs, stößt eines Tages auf Ingrid Jakobs Buch und ist tief beeindruckt von Petrows Persönlichkeit und Handlungsweise: „Er hätte den Friedensnobelpreis verdient.“ Ihm zu Ehren hat Ponnelle eine „Ode an Stanislaw Jewgrafowitsch“ für Orgel und Gesang komponiert, die am 11. Februar 2018, um10 Uhr im Rahmen eines Gottesdienstes in der Münchner Erlöserkirche uraufgeführt wird.

Horst Teltschik war zu der Zeit, als die Welt beinahe einem Atomkrieg zum Opfer gefallen wäre, außenpolitischer Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, später Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und gilt als exzellenter Kenner der weltweiten Sicherheitslage. 

„Atomkrieg aus Versehen?“ Pressekonferenz im Münchner PresseClub am 6. Februar 2018. Foto: Johann Schwepfinger.

Peter Schmalz, unserem Club-Chef, ist es gelungen, Pierre-Dominique Ponnelle und Horst Teltschik zu einer Pressekonferenz in den Münchner PresseClub einzuladen. Damit begann einmal wieder eine Sternstunde für unsere Mitglieder.

Teltschik erinnert uns an die damalige politische Situation, an den Kalten Krieg, als alte, gebrechliche und todkranke Generalsekretäre und Marschälle in Moskau das Sagen hatten, und an den gemeinsamen Besuch mit Kohl, der 1983 zum Bundeskanzler gewählt worden war, in Moskau. Miteinander reden, betont Teltschik mehrmals, ist unerlässlich, wenn Krisen sich aufschaukeln. Er erinnert an den Nato-Doppelbeschluss, an die Stationierung der Pershing-Raketen und das Entsetzen, das diese Schritte in Moskau ausgelöst haben. Wir müssen sagen, was wir wollen!“ betont Teltschik, so wie es Kohl vier Wochen nach seiner Wahl mit US-Präsident Regan getan habe. Nachbemerkung zur Gegenwart: Das bedingt, dass wir selber wissen, was wir wollen.

Auf die Frage, ob sich ein Vorfall wie damals wiederholen könnte, meint Teltschik im Hinblick auf Trump und Kim Jong-un, die Gefahr sei heute größer denn je. Zumindest Kim werde durch niemanden gebremst. Trump betreibe eine gefährliche Atompolitik und spiele mit dem Gedanken an einen Präventivschlag. 1983 steckten die Computer noch in den Kinderschuhen, heute bestehe zusätzlich die Gefahr, dass Algorithmen statt Menschen Reaktionen auslösen, wie es beim Fehlalarm in Hawai der Fall gewesen sei.

Auf die kritische Bemerkung, dass Frau Merkel nicht „an Putin schreibe“, weist Teltschik darauf hin, dass man außerhalb von Deutschland großen Respekt vor Frau Merkel habe. Aber zur Zeit sei sie eben nur eine geschäftsführende Bundeskanzlerin. Es sei dringend, dass Außen- und Sicherheitspolitik aufeinander abgestimmt werden. Martin Schulz solle einen Platz im Kabinett erhalten, von dem aus er die Kanzlerin in der Europa-Politik vor sich her treiben könne.

„Was machen 3 Divisionen, also 30.000 russische Soldaten, an der Westgrenze?“ lautet eine Frage aus dem Auditorium an Horst Teltschik. Er antwortet fast mit einer Gegenfrage: „Was machen ausgerechnet deutsche Soldaten an der Grenze zu Russland und wecken Erinnerungen?“ Es sei dringend Zeit für vertrauensbildende Maßnahmen. Viel sei verpasst worden, auch hinsichtlich des Konflikts in der Ostukraine. Auf die Frage, wie sich Teltschik eine neue Russland-Politik vorstelle, weist er darauf hin, dass von den 140 Millionen Russen 40 Millionen junge Menschen sind, die den Krieg nicht miterlebt haben und aufgeschlossen sind. Man müsse vor allem das verbindende Kulturelle stärker pflegen. Dabei sei zu beachten, dass die Heimatliebe der Russen im Unterschied zu Deutschland sehr stark ausgeprägt sei. Und es gebe erstaunlich wenig nachtragende Ressentiments gegenüber Deutschen.

Pierre-Dominique Ponnelle ist selber sehr gespannt auf die Uraufführung seines Werke. Er weist darauf hin, dass keine naturalistischen Elemente, also kein Rauschen von Raketen oder Kriegslärm darin zu finden seien, er habe vielmehr seinen Gefühlen freien Lauf gelassen. 1983 war der Vorfall von den Moskau geheim gehalten worden, auch er sei erst durch Ingrid Jakobs‘ Petrow-Buch auf diesen mutigen Mann und die dramatische Situation aufmerksam geworden.

Text: Werner Siegert

Fotos: Johann Schwepfinger

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