Freude auf die Zukunft

Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff besuchte am 3. September 2024 den PresseClub.

V.l.n.r.: Christian Wulff, Ehrengast Dr. Charlotte Knobloch und Peter Schmalz

Der frühere Bundespräsident Christian Wulff, Ehrenbürger seiner Heimatstadt Osnabrück, ist nur noch selten in München. Sein Lebensmittelpunkt liegt in seiner hannoverschen Heimat, sein offizielles Büro als ehemaliges Staatsoberhaupt ist im Deutschen Bundestag in Berlin und in Hamburg arbeitet er gelegentlich als Rechtsanwalt. Am 1. Oktober wird Wulff Deutschland bei der Amtseinführung der neuen mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum vertreten. Ende Oktober reist er zum deutsch-japanischen Forum nach Tokyo. Er ist öfter für die Bundesrepublik unterwegs im Ausland.

Für seinen ersten Besuch im Münchner Presseclub hat er einen besonderen Termin gefunden: Im großen Raum ist kein Platz mehr frei, als Christian Wulff zwei Tage nach den mit Sorgen verfolgten Wahlen in Sachsen und Thüringen zu uns an den Marienplatz kommt. Es wird für fast zwei Stunden ein intensiver Diskurs über die aufgewühlte Stimmung im Land.

Dem auf den ersten Blick verblüffenden Satz des linken und abgewählten thüringischen Ministerpräsident Bodow Ramelow, wonach die Wahl „ein Festakt der Demokratie“ war, stimmt er zu: Mit über 70 Prozent in beiden Ländern die höchste Wahlbeteiligung nach der Wende zeige das hohe Interesse an einer demokratischen Wahl, das auch viele bisherige Nichtwähler ins Wahllokal gebracht habe. Zugleich aber stimmt er auch dem Satz von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, zu, die von einer „Abkehr von der von der bisherigen politischen Kultur der Bundesrepublik“ sprach. Die Wahlen in Sachsen und Thüringen, sagt er, „bedeuten eine Zäsur in der Demokratiegeschichte Deutschlands“.

Christian Wulff, vor seiner Präsidentenzeit lange Jahre CDU-Ministerpräsident in Niedersachsen, fächert dafür sieben Gründe auf.

Populismus stärkt die Feinde der Demokratie: Dabei sieht er nicht zuletzt die Unionsparteien in der Verantwortung und stört sich an Sätzen wie die Migration sei die „Mutter aller Probleme“. Er mahnt: „Die Rhetorik der rechten demokratischen Mitte ist wesentlich verantwortlich, ob Rechtsextreme Konjunktur haben.“ Gerade in den neuen Bundesländern übernehme man trotz der „unwahrscheinlichen Erfolgsgeschichte“ (niedrigste Arbeitslosigkeit, Produktivität gegenüber dem Westen von 30 auf 80 Prozent gestiegen) die negativen Narrative der AfD und kapituliere damit vor ihr.

„Wir machen das für Euch“: Dieser Paternalismus müsse abgelöst werden durch ein „Wir brauchen die Mitwirkung aller Demokraten“. Vor allem die „Übergriffigkeit des Staates“ während Corona müsse durch eine Enquetekommission kritisch aufgearbeitet werden: „Sonst gibt es keine Befriedung nach der Übergriffigkeit der Politik.“ Doch Wulff sieht eine Chance: Die hohe Wahlbeteiligung zeige, dass die Menschen sensibilisiert sind. Diese müsse man durch vielfältige Maßnahmen ansprechen, so könnte auch der Aderlass bei den Mitgliederzahlen, den die demokratischen Parteien zu beklagen haben, gedreht werden.

Putins Überfall auf die Ukraine: Die massive militärische Unterstützung des überfallenen Landes stellt Wulff nicht infrage, auch wenn sie dem Bündnis von Sarah Wagenknecht zu erheblichen Stimmprozenten verholfen haben. Doch diese nach wie vor notwendige Hilfe müsse vor allem die Bundesregierung besser begründen. Und zwar „mit dem Ziel des Verhandlungstisches zu einem dauerhaften Frieden“.

Positiv und optimistisch: Der „umfassenden Unzufriedenheit“, die der Politologe Hans-Rudolf Korte vor allem bei den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern erkennt und die wesentlich zu den hohen Wahlergebnissen populistischer Parteien geführt hat, müssten bürgerliche Parteien mit einer „positiven und optimistischen Zukunftserzählung“ gegenhalten. Es reiche nicht, meint Wulff, „wenn die Opposition nur vom Zerfall der Ampelregierung profitieren will“. Pessimismus und Weltuntergangsszenarien hätten den Nazis geholfen und würden heute den Extremisten helfen. Müsse erst Julian Nagelsmann uns ins Gewissen reden mit seinen sympathischen Sätzen: „Ich habe das Gefühl, wir wissen gar nicht, in was für einem schönen Land wir leben, jede Schlagzeile ist negativ, die Nachrichten sind negativ, jeder ist pessimistisch.“

Zuwanderung: Am Tag der Einheit vor genau zehn Jahren hat Christian Wulff als Bundespräsident mit einem Satz Furore gemacht, der noch heute nachklingt: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Ein Satz, zu dem er noch heute steht, doch ihm sind dabei die Sätze wichtig, in die seine Islam-Worte eingebettet waren. Darin forderte er, die in der Verfassung festgeschriebenen Werte zu achten und zu schützen, sich an „unsere gemeinsamen Regeln zu halten und unsere Art zu leben“ zu akzeptieren: „Wer das nicht tut, wer unser Land und seine Werte verachtet, muss mit entschlossener Gegenwehr aller rechnen.“

Wulff erinnert an einen „Masterplan Migration zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Migration“, den die Merkel-Regierung schon 2018 beschlossen hat. Er enthalte alles, was heute diskutiert wird und verfassungsrechtlich möglich ist. „Solche Handlungen aus der eigenen Regierungszeit und Verantwortung zu unterschlagen“, meint Wulff auch in Richtung der Union, „heißt, sich zu ‚verzwergen‘.“

Soziale Netzwerke: Das Internet mit seinen massiven Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik müsse „endlich wirklich erkannt, bewältigt und genutzt werden“. Er sieht darin eine revolutionäre Technologie wie es der Buchdruck vor 500 Jahren war. Dieser hätte die Welt verändert und Luthers erfolgreiche Reformation erst ermöglicht: „Die Kirchenspaltung besteht bis heute. Und heute werden Demokratien unterspült.“

Volksparteien: Mit Sorge blickt Christian Wulff auf die CDU, der er sich weiterhin verbunden fühlt, wenn auch die Mitgliedschaft während seiner damaligen Amtszeit als Bundespräsident ruhte. Eine Volkspartei brauche personell, organisatorisch und inhaltlich eine Öffnung aus ihrer „weniger und älter werdenden Echokammer“. Jugendliche, Frauen, Deutsche mit Migrationsgeschichte, Arbeitnehmer und Ostdeutsche und damit 80 Prozent der Bevölkerung würden in der derzeitigen Spitze ein Schattendasein führen. Nur mit einem Engagement aller könne die Partei wieder Richtung 40 Prozent abheben.

Doch der ehemalige Bundespräsident ermuntert zu Zuversicht. Deutschland, noch immer die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, sei ein „gefesselter Gulliver“, der dringend durch Reformen an Haupt und Gliedern „schlanker, schnelle und besser“ werden müsse. Und gelinge es beim Klimawandel Ökonomie und Ökologie zu versöhnen, dann werde das zu großen wirtschaftlichen Chancen und vor allem auch wieder zu mehr Glaubwürdigkeit bei jungen Menschen führen.

„Wir sind ein großartiges Land mitten in Europa, auf das wir stolz sein können,“ meint Wulff zum Abschied und fordert mit Blick auf den US-Wahlkampf von Kamala Harris auch bei uns „Freude auf die Zukunft“.

Text: Peter Schmalz
Fotos: Johann Schwepfinger und Wolfgang Roucka

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