Europa vor Ort
Informationsfahrt des PresseClubs zum Europäischen Parlament nach Straßburg
Auf dem Programm steht eine Reise ins parlamentarische Herz Europas: 48 Stunden Straßburg mit elf Arbeitsterminen. Zu einem Zeitpunkt, da der Brexit eine eher unwahrscheinliche Drohung, Nizza nichts als ein mediterraner Wohlfühltraum und ein Militärputsch in der Türkei allein Sache fürs Geschichtsbuch ist.
Mit Historie beginnen auch die Tage in der elsässischen Metropole, zu der die beiden CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber und Manfred Weber eingeladen haben. „Strasbourg – 2000 Jahre Geschichte“ heißt das Motto der Bootsfahrt über die Ill. Die Fahrt führt in 75 Minuten durch die drei Viertel, für die Straßburg bekannt ist: Die Grande Ile, das Zentrum der Stadt, das von den beiden Armen der Ill umschlossen ist, das Quartier Impérial, auch „La Neustadt“ genannt, das von 1871 bis 1918 unter deutscher Regierung erbaut wurde und die Fläche der Stadt verdreifachte, sowie das Europaviertel, dem eigentlichen Ziel unserer Reise.
Europa ist in Etappen nach Straßburg gekommen: Der Europarat 1949, wobei ein englischer Staatssekretär wegen der erhofften Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich Straßburg als Sitz vorgeschlagen hatte. Drei Jahre später kam die Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) hinzu. 1977 wird das Palais de l’Europe eröffnet. Europarat und Europäisches Parlament teilen sich dort den Plenarsaal, bis 1999 das Louise-Weiss-Gebäude als neuer Sitz des Parlaments eingeweiht wird.
Hier beginnt auch der zweite Tag mit einem Rundgang durch das Pressezentrum. Thomas Bickl, Pressesprecher der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, bringt uns zu den dort akkreditierten Kolleginnen und Kollegen. Vom eigenen Arbeitsplatz mit Bildschirm bis hin zu den perfekt ausgestatteten Fernseh- und Hörfunkstudios finden sie alles, was für den Transport der Meldung in die weite Welt benötigt wird. Und das auf dem neuestem Stand der Technik.
Der nächste Termin führt zum „Salle Margaret Thatcher“ (wann wird er wohl umgetauft?), wo uns der europaerfahrene Schwabe Markus Ferber empfängt. Seit 1994 Europaabgeordneter, arbeitet er heute als erster stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Währung. Schnell kommt die Diskussion auf die Themen Asyl und Visumsfreiheit für die Türkei. Ferber macht deutlich: „Wir rühren das Thema nicht an, bis seitens der Türkei alle Kriterien erfüllt sind. Und an diesen Kriterien ist nichts verhandelbar.“
Scheint der Austritt Großbritanniens aus der EU zu diesem Zeitpunkt noch unwahrscheinlich, so vergleicht Ferber die Lage nach einem immerhin möglichen Brexit mit einem Scheidungsverfahren bei komplexen Vermögensverhältnissen: „Wer bekomme was? Wie laufen die Förderprogramme aus? Alles Fragen, die neu verhandelt werden müssten.“
Nach einem kurzen Besuch auf der Tribüne des Hohen Hauses während einer Parlamentssitzung begrüßt uns Bernd Posselt. Der CSU-Politiker, der entweder als Mitarbeiter oder als Abgeordneter seit dem 17. Juli 1979 keine europäische Plenarsitzung verpasst hat, nennt sich selbst „ein altes Möbel im Parlament“. Als Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaften hat er viel für die Aussöhnung zwischen Bayern und Tschechien geleistet. Seine politischen Kerngebiete sind Osteuropa und die damit verbundene Osterweiterung. Durch seine zahlreichen Reisen in diese Gebiete hat er die Entwicklungen an Ort und Stelle erlebt. Profund beantwortet er Fragen nach den Sichtweisen der östlichen EU-Staaten, der Pressefreiheit und der Putin-Diskussion. Mit Schmunzeln meint er, ihm sei es eine große Ehre, als einziger Bayer in Russland Einreiseverbot zu haben.
Nächste Station ist das Abgeordnetenrestaurant, wo uns Manfred Weber empfängt. Der Niederbayer führt seit 2014 die Fraktion der Europäischen Volksparteien (EVP) und damit die größte Fraktion im Europäischen Parlament, Bei Hühnchen mit Spargel kommt die erste Frage gleich auf das heiß diskutierte Freihandelsabkommen TTIP. Weber wundert sich über die Aufregung: Derzeit verhandele die EU 30 weitere Abkommen, aber die Bürger seien kaum darüber informiert. Dies könne auch eine Folge der zu wenigen Europapolitiker sein. So sei er der einzige Abgeordnete für Niederbayern. Recht wenig für immer komplexere Themen.
Nach dem Gruppenfoto mit unseren beiden Gastgebern geht es auf verschlungenen Pfaden zum Gespräch mit David McAllister, ehemals Ministerpräsident in Niedersachsen und seit 2014 Europaabgeordneter. Der 1971 in West-Berlin geborene Doppelstaatler – Vater Brite, Mutter Deutsche – ist der Großbritannien-Experte unter den deutschen Parlamentariern. Er erwartet ein Kopf-an-Kopfrennen und hofft an diesem Tag noch auf viele Wähler: „Je höher die Wahlbeteiligung, desto mehr Stimmen für remain (bleiben). Ebenso je jünger die Wähler und je besser ausgebildet.“ Geradezu angewidert spricht McAllister von der „Brutalität des britischen Boulevardjournalismus“, der fest entschlossen sei, der EU den Kampf zu erklären. In Großbritannien, das schon immer anders gewesen sei, gebe es eine besondere Skepsis gegenüber der EU: Keinen Euro, kein Schengen, dafür aber der von Margaret Thatcher geforderte Haushaltsrabatt: „I want my money back.“ Die Konsequenz: „Wir werden in Europa flexiblere Strukturen benötigen.“
Die nächste Gesprächspartnerin kommt aus Polen: Rosa Gräfin von Thun und Hohenstein, 1954 in Krakau geboren und seit 2009 für die polnischen Christdemokraten im Parlament, spricht besorgt über den innen- und europapolitischen Weg, den neuerdings ihr Land einschlägt. Noch während ihrer engagierten Erläuterungen kommt Heinz K. Becker ins Zimmer. Der erfolgreiche Werbemanager aus Wien vertritt seit 2011 die ÖVP in Straßburg. Er blickt sorgenvoll in die Zukunft der bisherigen Volksparteien: Die Bundespräsidentenwahl habe in seinem Land einem noch nie dagewesenen Vertrauensverlust gezeigt: „Uns ist nicht gelungen, zu vermitteln, was wir tun. Die Große Koalition als Dauereinrichtung ist ein Auslaufmodell.“ Heute würden drei Viertel aller österreichischen Arbeiter FPÖ wählen. Er befürchtet: „Die ÖVP kommt so unter Druck, dass sie mehrere Jahre weg ist vom Fenster. Sie wird nicht mehr gestalten können.“
Die dritte Etappe wird mit einem Besuch des Europarates in Straßburg eingeläutet. In einem lockeren Gespräch informiert der griechische Pressereferent Panos Kakaviatos über Geschichte und Aufgaben dieser ehrwürdigen Institution. Danach geht es zu Fuß über eine kleine Ill-Brücke hinüber zu Arte, dem deutsch-französischen Gemeinschaftssender. Bernd Mütter, stellvertretender Programmdirektor und Hauptabteilungsleiter Programmplanung TV/Web, erläutert Historie und neueste Entwicklungen des ambitionierten Fernsehsenders, der in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag feiern kann. Der kulturelle Anspruch ist hoch, die Einschaltquoten sind gering - eine im medialen Bereich häufig zu beobachtende Wechselwirkung. Immerhin: 85 Prozent des Programms werden in Europa produziert.
Noch wären Fragen für weitere Stunden, doch unser Vorstandsmitglied Johann Schwepfinger, spiritus rector und Organisator der Info-Tour, mahnt zum Aufbruch: Die Fahrpläne von TGV und IOCE nehmen keine Rücksicht auf journalistische Neugier.