Medientage München 20. Oktober 2011

Think global – act local!
Wie wichtig ist das Lokale in der digitalen Gesellschaft?

Von Thomas Kletschke

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Martin Wanninger, Ruthart Tresselt, Tim Cole und Dirk von Gehlen
Foto: Robert Auerbacher

Der PresseClub München wagte bei den 25. Medientagen München einen Blick in die Zukunft. Unter der Fragestellung „Wie wichtig ist das Lokale in der Gesellschaft“ diskutierte das Podium am 20. Oktober 2011 im Messezentrum ICM. Im Spannungsfeld zwischen gedrucktem und digitalem Journalismus erobert das globale digitale Medienangebot den Bereich des Lokalen mit erstaunlich professionellen, innovativen und auch unbequemen Blogger-Angeboten. Mit niedrigen Produktionskosten und den technischen Möglichkeiten und der Schnelligkeit des Internets können Lokal-Blogs der gedruckten Konkurrenz weit überlegen sein. Über die sich stellenden Fragen journalistischer Qualität und Ethik im (lokalen) Internet, den Bedeutungsverlust lokaler Tageszeitungen, die Finanzierbarkeit lokaler Online-Angebote bis hin zu den erweiterten technischen Möglichkeiten für den Lokaljournalismus etwa durch das mobile Internet wurde auf dem Panel diskutiert. Stellung bezogen Martin Wanninger, Leiter der Online-Redaktion Passauer Neue Presse (PNP), Tim Cole, deutsch-amerikanischer Internet-Publizist, München und der jetzt.de-Redaktionsleiter Dirk von Gehlen, (Süddeutscher Verlag, München). Die Diskussion wurde vom Vorsitzenden des Internationalen PresseClub München, Ruthart Tresselt, moderiert.

Obwohl gelernter Tageszeitungsjournalist mit 40 Jahren Berufserfahrung, gestand Tim Cole: „Ich bin dem Papier untreu geworden.“ Seit 20 Jahren arbeite er mit und im Web, mit zunehmender Tendenz. Er empfinde eine gewisse Trauer, wenn er den Status Quo beobachte, so Cole. „Die Zeitungen haben einfach etwas verpennt; sie machen ihren Job nicht“, lautete sein Fazit. Als Beleg führte er an, besonders lokale Nachrichten seien über Blogs, via Facebook und andere Netzwerke sowie weitere von Nicht-Journalisten vor Ort produzierte Angebote besser zu finden.

Tim Cole

Tim Cole, deutsch-amerikanischer Publizist
Foto: Robert Auerbacher

Cole hatte Lokalnachrichten aus den drei Münchner Zeitungen TZ, AZ sowie SZ analysiert. Vor allem an tagesaktuellem Material fehle es den Lokalteilen der drei Blätter, während im Überregionalen dort ein wesentlich größeres Angebot vorhanden sei. Manches gar sei „uralt“, so Cole weiter. Einer der beiden Boulevardtitel etwa mache mit dem schon längst beendeten Oktoberfest auf, beziehungsweise drehe das Thema weiter. „Das Lokale wird nicht gepflegt, nicht mit der gleichen journalistischen Sorgfalt wie andere Ressorts.“ Zwar gebe es etwa lokal durch jetzt.de für die jüngere Zielgruppe sehr gute Angebote im Netz, aber das könne eine bessere Verlängerung des SZ-Lokalteils in Web nicht ersetzen.

Martin Wanninger

Martin Wanninger, Stellvertretender Chefredakteur der Passauer Neuen Presse
Foto: Robert Auerbacher

PNP-Online-Chef Martin Wanninger widersprach. Schon seit jeher werde das Lokale in den Verlagen gefördert. Seine steile These: „das ist fast schon hyperlokal.“ Wanninger relativierte Coles Stichprobe mit einer Differenzierung. „Das Missverständnis ist, dass man die großen Stadtzeitungen heranzieht, wie Sie das jetzt machen.“ Dagegen seien die vielen Regionalzeitungen die Taktgeber. Dies sei auch eine Frage des eingesetzten Personals, meinte er. „In den Lokalteilen arbeiten vier Redakteure an fünf bis zehn Seiten für 10.000 Menschen. Bei den großen Titeln wie der SZ müsste etwa die Redaktion für Haidhausen etwa für eine Leserschaft im hohen fünfstelligen Bereich produzieren. PresseClub-Vorstand und Moderator Ruthart Tresselt fand allerdings, er erfahre auf dem Land „fast nichts“ – auch nichts aus der Passauer Neuen Presse. So vermisse er als Leser etwa wichtige Nachrichten aus dem elf Kilometer entfernten Nachbarort.

In großer Sorge über das Geschäftsmodell

Jetzt.de-Leiter Dirk von Gehlen führte in die Diskussion ebenfalls eine Unterscheidung ein. „Wir reden hier über Informationen, die teilweise technisch erstellt, aggregiert werden. Das hat aber mit klassischem Journalismus nichts mehr zu tun.“ Damit relativierte er die von Cole ins Spiel gebrachte Aussage, Digital-Angebote von alternativen Medienproduzenten seien schneller und inhaltsvoller als die Angebote der Verlage. Im publizistischen Web gebe es zwei Beine: das Aggregierte und das, was Journalisten vor Ort produzieren. Und: Es gehe nun mal ums Geld. „Das Publikum für kleine Portale findet sich (noch) nicht“, meinte von Gehlen. Auch wenn es bedauerlich sei, dass Journalisten und nicht die Verleger in Diskussionen darauf hinweisen müssten. „Das derzeitige Geschäftsmodell im digitalen Raum setzt auf ein großes Publikum.“ Hier griff von Gehlen Coles Beispiel mit der Meldung zum Oktoberfest auf. „Ein Leser aus Hamburg klickt sich dann durch die Galerie der schönsten Wiesen-Dirndl.“ An originär lokalem Münchner Content bestehe bei den Nutzern aus anderen Regionen dagegen kaum Bedarf.

Dirk von Gehlen

Dirk von Gehlen, Redaktionsleiter jetzt.de (Süddeutsche Zeitung)
Foto: Robert Auerbacher

Obwohl gut gelaunt, schienen die diskutierenden Journalisten doch auch mit Sorge in die digitale Zukunft zu sehen. Tim Cole etwa erwähnte, er empfinde Trauer, wenn er das Gros der aktuellen Angebote der Medienhäuser im Web beobachte. Ruthart Tresselt stellte die Frage: „Ersetzt das Web die Zeitungen?“ Tim Cole meinte: „Eigentlich ersetzt ja kein neues Medium ein vorhandenes. Aber ich bin in großer Sorge um das Geschäftsmodell.“ Da war es wieder, das fiese Wort mit G, das immer wieder auftauchte. Wohl zu Recht: Die Druckerpressen hätten früher anders finanziert werden können, sagte Cole. „Aber die Kleinanzeigen sind alle weg, da die Tageszeitungen das verschlafen haben.“ Auch bei den Zeitschriften hätten früher Kleinanzeigen, etwa bei Autozeitschriften, ein gutes Plus zum Ertrag beigesteuert. „Es sieht nicht gut aus. Wenn der Blutverlust in das Internet nicht gestoppt werden kann, dann sehe ich schwarz“, war Tim Coles Diagnose.

Todesanzeigen – nichts anderes als Statusmeldungen

Unausgesprochen war klar: Der Patient Zeitung kann gerettet werden, aber ohne Therapie geht da nichts. PNP-Online-Mann Wanninger etwa berichtete von den guten Erfahrungen, die der Verlag gerade mit Web-2.0-Angeboten mache. Eine seit kurzem bestehende Zusammenarbeit mit Blitzmeldern, die etwa über Staus in der Region informierten, werde ausgebaut. Bisher gebe es 40.000 Mitglieder. Die Kooperation war über Facebook zustande gekommen. Dass die Medienhäuser so manches vielleicht einfach nur neu interpretieren müssen, machten von Gehlen und Wanninger an einem Beispiel klar. Für jetzt.de-Chef von Gehlen war klar: „Soziale Nachrichten hat nicht Mark Zuckerberg erfunden, sondern die Lokalzeitungen.“ Aus Sicht des Online-Journalisten können die Verlage wieder auf die Beine kommen. „Todesanzeigen sind nichts anderes als Facebook- Statusmeldungen. Beide Arten von Information sind nicht so weit voneinander entfernt.“ Wanninger präzisierte: „Das Kernproblem liegt bei den Todesanzeigen. Nach der Startseite sind diese der zweitattraktivste Teil unseres Onlineangebots.“ Man müsse dafür sorgen, dass ein Teil dieser von den Lesern und Usern als wichtig empfundenen Informationen kostenfrei erreichbar sei, etwa der Name des Verstorbenen. Wolle der Nutzer aber wissen, wann die Beerdigung stattfinde, müsse dies ein bezahlpflichtiger Inhalt sein.

Von Abi-Bloggern lernen

Große Einigkeit herrschte beim Podium darüber, dass vor allem das mobile Web, Geo-Tagging und ein geordnetes Nebeneinander von Feeds und fürs Web ergänzte Nachrichten die Rezepte sind, die den schwächelnden Verlagen helfen werden. Konsens bestand auch darüber, dass Kooperationen mit Bloggern die Angebote der traditionellen Medienhäuser verbessern können. Das funktioniere besonders gut, wenn externe Autoren über ihre eigene Lebenswelt berichten. Ein Beispiel kam aus dem Auditorium. Ulrike Köppen aus der BR-Onlineredaktion berichtete vom Abi-Blog. Unter http://blog.br-online.de/abi2011/ berichtet seit März der doppelte Abi-Jahrgang. Die zwölf jungen Bloggerinnen und Blogger zeigen dort ihre Sicht der Dinge, verbunden mit Inhalten, die aus dem BR zum Thema produziert wurden. „Das ist sehr gut angenommen worden, von den Kollegen im Haus und auch den jungen Bloggern“, so die BR-Onlinerin über die Erfahrung mit dem zeitlich begrenzten Projekt. Inzwischen bloggen die jungen Autorinnen und Autoren über ihre Erfahrungen an der Uni. Seriöser Bürgerjournalismus geht also heute schon.

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