Pressekonferenz19.08.2009 14:30
Physiotherapeuten in Bayern: Früher Visite mit dem Chefarzt – heute draußen vor der Tür
Mit Ausrufen wie „Jetzt reicht’s!“ und „Das Maß ist voll!“ machen Physiotherapeuten in Bayern ihrem Unmut über ihre frustrierende Situation Luft. „Warum dürfen sich immer nur die anderen Akteure im Gesundheitssystem beschweren? Kaum eine Berufsgruppe hat so düstere Zukunftsaussichten wie wir Physiotherapeuten“, bringt Rüdiger von Esebeck, Vorsitzender des Verbands der Krankengymnasten/Physiotherapeuten ZVK e. V. in Bayern die Sache auf den Punkt.
Doch was ist eigentlich so beklagenswert für die Physiotherapeuten? Ist es wirklich nur das liebe Geld? Oder steckt doch mehr dahinter??
Denn fragt man die Akteure im Gesundheitswesen, so zeigt sich, dass die Bedeutung von Physiotherapeuten im Deutschen Gesundheitssystem unbestritten ist. Physiotherapeuten helfen, Lebensqualität zu steigern, Selbständigkeit bis hin zur Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen, Verletzte zu rehabilitieren und wiedereinzugliedern usw. Besonders wichtig ist ihr Einsatz bei chronisch Kranken, Behinderten, Kindern und sogar Säuglingen, aber auch die Patientin mit Mamakarzinom profitiert von der Lymphdrainage, genauso wie der ältere Herr mit Osteoporose von der Sturzprophylaxe und Frau Jedermann von der Manualtherapie bei Sportverletzungen oder Rückenleiden wie Hexenschuss.
Tatsächlich leiden die Physiotherapeuten unter mangelnder Anerkennung – darunter, dass Ihnen kaum noch Respekt gezollt wird, Ihre Leistung immer weniger honoriert wird. Das zeigt sich an vielen Stellen im System. So werden die Physiotherapeuten von den Ärzten häufig nicht mehr als Partner, sondern als (verzichtbarer) Dienstleister angesehen und aus Angst vor Regressforderungen der Krankenkassen halten sie sich mit Physiotherapie-Verordnungen zurück – statt zum Wohle ihrer Patienten daran festzuhalten.
Doch damit nicht genug: im Gegensatz zu vielen anderen Staaten gibt es für die Patienten in Deutschland keine Möglichkeit, ihren Physiotherapeuten direkt zu konsultieren – sie benötigen immer eine ärztliche Verordnung. Die Ärzte weigern sich, einer Änderung dieser Regelung zuzustimmen – angeblich um die Patienten zu schützen. Auf dem 21. Deutschen Ärztetag in Mainz wurde diese ablehnende Haltung kürzlich sogar in einem Leitantrag bestätigt. Interessanterweise funktioniert der sogenannte Direktzugang aber im Ausland zur Zufriedenheit aller Beteiligten – und senkt dabei auch noch die Kosten.
Anfang des Jahres gingen die Ärzte auf die Straße, um gegen die Neuordnung der Honorare zu protestieren, die sie „in den Ruin treiben könnten“. An einigen Stellen wurde nachgebessert und die Honorierung der Ärzte ist am Ende im Durchschnitt sogar gestiegen (siehe u. a. Süddeutsche Zeitung vom 22. Juli 2009). Die Bezahlung von Physiotherapeuten dagegen war schlecht und bleibt schlecht. Im Rückblick auf die letzten 10 Jahre gab es noch nicht mal einen Inflationsausgleich – unterm Strich handelt es sich um eine Rabattierung von 10% bei gleicher Leistung.
Doch die Politiker interessieren sich offenbar nur für diejenigen, die am lautesten schreien. Der bayerische Gesundheitsminister ging für die Ärzte auf die Straße und legte sich mit der Bundesgesundheitsministerin an; für die berufsständische Vertretung der Physiotherapeuten dagegen hatte er bisher keinen Termin frei.
Wo soll das hinführen? Wie sollen die Physiotherapeuten eine qualitativ hochwertige Versorgung auf dem neuesten Stand der Forschung aufrecht erhalten? Oder wollen die Politiker diese Berufsgruppe aushungern? - Die Menge der verfügbaren Mittel im deutschen Gesundheitssystem ist begrenzt, aber vielleicht sollten sich die Verantwortlichen nicht immer die Frage stellen, was kostet die Behandlung, sondern was kostet es die Gemeinschaft, wenn nicht behandelt wird?